Wie wollen wir zukünftig in der Großstadt Bodensee wohnen?

Endlich bezahlbaren Wohnraum – das erhoffen sich viele Menschen in der Bodenseeregion. In vielen Teilregionen fehlt es oftmals an ausreichend und vor allem bezahlbarem Wohnraum. Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist groß, die Fläche knapp und der Preis für Wohnraum hoch. Auf der anderen Seite wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger eine Reduzierung des Flächenverbrauchs und den Erhalt von Grünflächen.

Der Wunsch nach Erhalt der Landschaft, Naherholungsbereichen und innerstädtischen Grünflächen und die gleichzeitige Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum durch zusätzliche Angebote lassen sich auf den ersten Blick nur schwer vereinbaren. Dabei ist das Thema nicht neu: Bereits 1926 gründete sich die „Internationale Arbeitsgemeinschaft zum Schutz des Bodenseeufers“, die das Ziel verfolgte, die Bodenseelandschaft vor der zunehmenden Verbauung zu schützen. Und auch in den folgenden Jahrzehnten stand das Thema einer Zersiedelung der Landschaft immer wieder auf der politischen Agenda. Erinnert sei hier an den „Bodenseeerlass“ von 1972 mit dem Verbot des Baus von Hochhäusern im Uferbereich, den beiden (baden-württembergischen) Bodenseeuferplänen mit ihren regionalplanerischen Geboten einer seefernen Bebauung oder den verschiedenen Bodenseeleitbildern, die immer auch auf den Schutz der Bodenseelandschaft zielten. Nicht zu Unrecht gilt die Bodenseeregion deshalb auch als eine der Wiegen des Landschaftsschutzes und teilweise als Vorbild für grenzüberschreitende Raumplanung.

Bevölkerungswachstum und Siedlungsdruck

In den vergangenen Jahren ist die Bevölkerung in den meisten Teilräumen am Bodensee gewachsen. Heute leben in der Bodenseeregion rund 4.2 Mio. Menschen, fast 240.000 mehr als noch im Jahr 2000, dies entspricht etwa dreimal der Stadt Konstanz. Und der Trend hält an, bis zum Jahre 2035 wird sich die Einwohnerzahl um weitere 400.000 erhöhen. Das starke Bevölkerungswachstum verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig in der gesamten Region, sondern konzentriert sich auf die Städte, wie Konstanz, Friedrichshafen oder Dornbirn, sowie Verdichtungsbereiche um und zwischen den städtischen Zentren. In den eher ländlichen Räumen fällt das Bevölkerungswachstum teilweise deutlich geringer aus.

Mit dem Bevölkerungswachstum, aber auch aufgrund der positiven Wirtschafts- und Tourismusentwicklung steigt der Flächenverbrauch und damit die Siedlungsfläche. Naturräume, landwirtschaftliche Nutzflächen und Freiflächen geraten immer stärker unter Druck. Die Flächennutzungskonkurrenz hat in den vergangenen Jahren zugenommen und wird sich weiter verschärfen.

Politisches Bewusstsein schaffen

Das Problem ist der Bevölkerung und auch den politisch Verantwortlichen bewusst, wie verschiedene politische Diskussionen gerade auf kommunaler Ebene in den letzten Jahren gezeigt haben. So wurde z.B. die Ausweisung eines neuen Industriegebietes in einer Volksabstimmung in Vorarlberg abgelehnt oder neue Quartiersentwicklungen wie in der Stadt Konstanz werden intensiv öffentlich diskutiert. Die Städte und Gemeinden stehen hierbei immer wieder vor schwierigen Abwägungen zwischen dem Erhalt von Grün- und Freiflächen und der Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum. Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Planungen ist ein wichtiges Instrument, um einerseits deren Wünsche aufzunehmen und andererseits Transparenz und Akzeptanz für das Vorhaben zu schaffen.

Öffentliche Diskussion fördern

Hinter den konkreten Baumassnahmen steht auch immer die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Wie können wir eine nachhaltige Entwicklung sicherstellen? Wie weit wollen wir wachsen, und welche Folgen hat das für den Natur-, Wohn- und Lebensraum Bodensee?

Wenn wir mehr Urbanität brauchen, um alle Wohnbedürfnisse abzudecken, bleibt die Frage, was das für die Bodenseeregion mit ihrer polyzentrischen Siedlungsstruktur heißt. Welche neuen Formen des Miteinanderlebens und -wohnens gibt es, die ein nachhaltiges und gleichzeitig bezahlbares Wohnen ermöglichen? Was wir brauchen, um zukunftsfähig in der Großstadt Bodensee wohnen zu können, ist ein gesellschaftlich-politischer Diskurs auch über die Grenzen hinweg.

Was sich die Bürgerinnen und Bürger wünschen

Für die von DenkRaumBodensee rund um den See befragten Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, der zunehmenden Zersiedlung und Verbauung entgegenzuwirken sowie Leerstände zu vermeiden. Um attraktiven und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wünschen sie sich neue Wohnformen, sozial durchmischt, barrierefrei und generationenübergreifend. Eine nachhaltige Stadtentwicklung schafft Wohnraum für Junge und Familien und sieht ein differenziertes Angebot an betreuten Wohnformen für ältere Menschen vor.

Eine nachhaltige und sozialverträgliche Siedlungsplanung berücksichtigt dabei die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und vermeidet Flächen- und Landschaftsverbrauch.

Es existieren in allen Teilräumen bereits spannende Beispiele innovativer Stadt- und Quartiersgestaltung mit neuen und bezahlbaren Wohnformen. Von der Bodenseeregion als attraktivem Wohnstandort profitieren alle. Bei einem Blick über lokale und regionale Grenzen hinweg kann man voneinander lernen. Ein gemeinsames und grenzüberschreitendes Konzept für die Bodenseeregion hätte Modellcharakter – wie bereits vor einhundert Jahren.

www.denkraumbodensee.org

Roland Scherer & Simone Strauf