Wer mit Monika Kritzmöller ins Gespräch kommt, merkt schnell, wie sie voller Leidenschaft für ihre Themen brennt. Die Soziologin und Lebensstilforscherin hat sich der Mode verschrieben, was auch in ihren Outfits, die sie sich oft nach eigenem Entwurf schneidern lässt oder strickt, zum Ausdruck kommt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Architektur & Design sowie Körper, Mode & Textil. Als Privatdozentin ist sie an der Uni St. Gallen tätig und setzt ihr Know-How in ihrem St. Galler Forschungs- und Beratungsinstitut Trends + Positionen ein, mit dem sie u.a. Unternehmen in der Profilbildung unterstützt: Ästhetik als Wirtschaftsfaktor und Gesamtkonzept. Monika Kritzmöller im Gespräch mit akzent über Kühe mit Sattel, Bloggerinnen und das modische Dolce Vita in der Großstadt Bodensee.
Akzent: Machen Kleider Leute?
Kritzmöller: Das ist wohl das meist missverstandene Zitat. Der arme Schneidergeselle aus der Novelle von Gottfried Keller gab nie vor, etwas anderes zu sein, trug seine elegante, selbst gefertigte Kleidung aus Überzeugung und hatte vor allem die passenden Manieren. Den Grafen hat ihm ausschließlich sein Umfeld zugeschrieben. Eine Kuh etwa, die einen Sattel trägt, wird deswegen kein Rennpferd! Wer weiß, wie ein Rennpferd aussieht und sieht diese Kuh – merkt, das passt nicht. Hat man aber keine Ahnung von Rennpferden und bekommt erklärt, dass ein Rennpferd ein kurzes braunes Fell, vier Hufe hat und einen Sattel trägt, und sieht dann eine Kuh mit Sattel, denkt: passt alles – das MUSS ein Rennpferd sein! Es gehört also das stimmige Auftreten ebenso dazu wie die Wahrnehmungskompetenz auf der Seite des Betrachters. Dass man also völlig selbstverständlich die Dinge trägt.
Akzent: Sie bezeichnen sich als Lebenstilforscherin, nicht als Trendforscherin?
Kritzmöller: Ja, denn Trends sind wie ein Ausschnitt aus dem gesamten Lebensstilbereich. Mich interessiert die Gesamtheit. Wie der Lebensentwurf materialisiert wird. Trends haben Einfluss auf die Gestaltung von Lebensstilen, aber es kommt auf meinen Lebensstil an, wie ich mit Trends umgehe. Wenn ich zum Beispiel die aktuellen Klimadiskussion nehme. Sage ich dann: ich verkaufe mein Auto, bringe meine Kleider in den Second Hand und kaufe mir nichts mehr zum Anziehen? Oder reagiere ich auf diesen Trend, indem ich Luxusschuhe kaufe und sie über die Jahre mehrfach neu besohlen lasse. Das sind ganz unterschiedliche Ansätze, auf einen Trend zu reagieren. Das ist das Spannende an einer Gesellschaft: Wer nimmt wie einen Trend auf?
Akzent: Wie stehen Sie zu den Fashionistas und Bloggerinen, die heute zuhauf im Internet unterwegs sind und Trends vorgeben?
Kritzmöller: Trends vorgeben geht nicht, das schafft man schlicht nicht. Trends sind immer aus einem gesellschaftlichen Gefühl heraus geboren und Ausdruck dessen, was in einer Gesellschaft vor sich geht. Mode als Gesellschaftsbarometer. Sie können höchstens sagen, sie haben ein Gespür für das, was in die Zeit passt – und das kommunizieren sie. Und wenn sich das schwunghaft verbreitet, sieht es so aus, als hätten sie den Trend gemacht. Bloggerinnen bergen auch eine trügerische Sicherheit. Kendal Jenner wird ihnen niemals bei Liebeskummer zur Seite stehen … sie haben eine Projektionsfigur, die sie nie kennenlernen werden, für die sie keine Bedeutung haben. Vielmehr sollte man auf sich hören: was bin ich für ein Mensch, was passt zu mir? Das aber erfordert eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Man muss sich unter Umständen auch verteidigen. Wenn ich etwa einen meiner vielen Hüte anhabe, fällt das auf und muss nicht allen gefallen. Ich mag ihn aber, er bedeutet mir etwas, und deshalb kann ich dazu stehen. Folge ich Fashionistas oder Bloggerinen und imitiere sie, gebe ich ein Stück von dieser Herausforderung ab. Man entlastet sich, weil man keine Verbindlichkeit eingeht. Ich kann jederzeit jemandem anderen folgen und entgehe der Auseinandersetzung mit mir. Bloggerinnen sind wie eine modische Hängematte, man kann sich anlehnen.
Akzent: Wie hat sich die Bedeutung der Mode im Laufe der Jahre verändert?
Kritzmöller: Artefakten zeigen ganz stark, wie sich Gesellschaften verändern. Mode ist wie ein Lebensgefühl, das man sich anlegt. Wir haben heute nicht mehr DEN Trend, etwa eine einzige bestimmte Rocklänge. Früher gab es eine Klassen- und Schichtenmode. Mittelschicht-Frauen haben günstigeren Kunstpelz getragen, um so auszusehen wie die Industriellen-Gattin mit dem Echtpelz. Heute ist es eher eine Grundsatzfrage: Trage ich Echtpelz oder eben nicht. Am unterschiedlichen Umgang mit Mode lässt sich exakt die Gesellschaftsstruktur ablesen, und die ist heute nicht mehr geschichtet, sondern individualisiert wie ein Patchwork.
Akzent: Und welche Rolle spielt dabei derzeit Friday for Future?
Kritzmöller: Ich sehe da eine Oberflächenebene. Es werden Postulate aufgestellt, die dann auch von den Herstellern als Greenwashing verwendet werden. Der Kern dessen, was nachhaltige Mode wirklich ausmacht, wird aber oft nicht berührt. Was trägt Greta an den Füßen? Sneakers! Viele Friday for Future-Demonstranten hinterfragen nicht, dass sie Plastik und Gummi an den Füßen haben. Viele gehen mit Fast Fashion auf die Straße und sagen ‚ihr habt uns das Leben versaut‘ – das sind für mich Logikbrüche! Aber gerade die Eigenschaft, auch typisch menschliche Irrationalitäten aufzuzeigen, macht die Erforschung von Mode so spannend. Ich behaupte, dass edle Sandalen aus Leder nachhaltiger sind. Auf richtig schönen Modellen laufe ich gut 20 Jahre herum! Lederschuhe sind biologisch abbaubar, hinterlassen keinen Gummiabrieb oder Mikroplastik, können vom Schuster repariert werden. Ich pflege sie akribisch, damit ich sie lange tragen kann. DAS ist doch nachhaltig! Mein Plädoyer ist, sich lustvolle Mode zu leisten, von der ich weiß, wo sie hergestellt ist. Das kann auch selbst gestrickt oder Second Hand und muss nicht teuer sein. Es gibt viele Möglichkeiten!
Akzent: Wie würden Sie die Menschen in der Bodenseeregion modemäßig beschreiben?
Kritzmöller: (lacht) Eine heikle Frage … Es ist eine sehr schöne Region mit hohem Freizeitwert, aber es gibt keine großen Metropolen in der Nähe. Das Straßenbild ist meines Erachtens eher casual, weniger extravagant. Dies ist etwas erstaunlich mit Blick auf die Umgebungsqualitäten: Wir haben hier ein mildes, liebliches Klima, den riesigen See mit seiner Weite, es gibt Ufercafés und Weinbau – da stelle ich mir Dolce Vita vor. Beschwingt und sexy. Und ich staune, warum die Stärke der Region nicht deutlicher auf die Mode abfärbt. Meine Anregung wäre: modisch an die Umgebungsqualität anzuknüpfen, sich inspirieren zu lassen. Lebt doch das Dolce Vita auch in einem freudigen Stilbekenntnis in der Kleidung!
Text: Tanja Horlacher, Foto: Lia Herzer, A.K.Wehrli, Alltag.ch
Ein Herzensprojekt von Monika Kritzmöller ist die im Oktober 2019 erschienene Soziografie über Eva Margarita Hatschek (1924-2010) „Evita – Fashionista, Bloggerin und die Mode“. Hatschek galt als bildschön und hochintelligent: sie studierte in den 1940er Jahren Chemie, als eine von 20 Frauen unter 500 Männern an der ETH Zürich und war zeitweilig Ehefrau eines erfolgreichen Unternehmers. Immer frönte sie ihrer Leidenschaft: der Mode. Sie ließ sich im Laufe ihres Lebens mehrere hundert Haut-Couture-Kleider auf den Leib schneidern. „Heute wäre meine Mutter sicher eine bekannte Fashionista“, so Tochter Andrea über ihre Mutter im Gespräch mit Monika Kritzmöller – die Idee zu einem außergewöhnlichen Buch war geboren. Auf 100 Seiten, illustriert mit zahlreichen Bildern und Steckbriefen zu den Kleidern, schrieb die Soziologin quasi posthum einen Fashionblog für „Evita“. Ergänzt durch spannende Informationen aus der Modegeschichte und Schneiderkunst, über die Frauenrolle und das Verständnis von Schönheit. www.flabelli-verlag.de
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