Er liest, er spielt, er produziert, er schreibt: Walter Sittler steht seit 1981 auf der Theaterbühne, seine Karriere vor der Kamera begann 1995. Mit Theaterproduktionen, Lesungen und vielem mehr gastiert der gebürtige Deutschamerikaner immer wieder in der Vierländerregion. Während seiner Schulzeit verbrachte er drei Jahre auf Schloss Salem, weil seine Mutter dort als stellvertretende Direktorin tätig war. Nach langen Jahren der Ermittlungsarbeit in der ZDF-Serie „Der Kommissar und das Meer“ führt ihn die Figur des Kommissars Robert Anders in „Der Kommissar und der See“ zurück an den See. akzent trifft Walter Sittler vor seinem Auftritt im Solostück „Als ich ein kleiner Junge war“ von Erich Kästner in der Stadthalle Singen.

akzent: Herr Sittler, Sie kommen mit verschiedenen Produktionen immer wieder nach Lindau, Singen, Konstanz … Was verbindet Sie mit dem Bodensee?
Walter Sittler: Der Bodensee ist einfach ein wunderschöner Flecken Erde. Meine erste Begegnung mit dem Bodensee war während meiner Schulzeit in Salem. Dann habe ich meine Frau in Überlingen kennengelernt. Die nächste größere Gelegenheit, abgesehen vom Skiurlaub in Bregenz oder kurzen Zwischenstopps, kam mit dem Kommissar.

akzent: In „Der Kommissar und der See“ kehrt Robert Anders aus „Der Kommissar und das Meer“ in seinen Geburtsort Lindau zurück. Im Herbst 2023 wird schon der zweite Film der Reihe ausgestrahlt.
Walter Sittler: Ich war schon früher ab und zu in Lindau, einfach weil es eine wirklich schöne Stadt ist. Jetzt drehen wir in Lindau, in Allensbach, auf der Reichenau. Es tut fast weh, so schön ist es. Und es bleibt spannend. Erstens ist Robert Anders wieder zurück in Deutschland und zweitens ist er in Rente und hat eigentlich nichts mehr zu melden. Er soll die Füße stillhalten und kann es nicht. Aber was soll er auch tun? Stellen Sie sich vor, Sie kommen als pensionierter Kommissar nach Hause und finden eine Leiche.

akzent: Eine von vielen fiktiven Leichen im Bodensee …
Walter Sittler: Ja! (lacht). Alle naselang tauchen Leichen im Bodensee auf. Ein Wunder, dass hier überhaupt noch jemand lebt … Aber im Ernst. Robert Anders liebt seinen Beruf, Rente hin oder her. Also macht er weiter.

akzent: Auch bei Ihrer Karriere scheint kein Ende in Sicht.
Walter Sittler
: Es gibt so schöne Dinge, die man machen kann. Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ haben wir schon über dreihundert Mal gespielt. Und es war immer anders, weil das Publikum immer anders ist. Wir Schauspieler haben den Vorteil, dass wir auch mit 80 noch gebraucht werden, wenn wir bei Verstand bleiben und geradeaus laufen können. Wenn man die richtigen Rollen hat, wird es besser, wenn man sie nicht hat, dann nicht. Ohne die richtige Rolle braucht man gar nicht anfangen.

akzent: Liefert Kästner die richtigen Rollen?
Walter Sittler:
Ich mochte immer die Art, wie er denkt. Wie er über Menschen und Ereignisse schreibt und dir nicht suggeriert, wie du gefälligst zu denken hast. Er zeigt dir, wie’s steht – entscheiden musst du selbst. Er verurteilt nicht. Heutzutage ist in jedem Satz irgendein aburteilendes Adjektiv. Nicht nur in der Politik, sondern überall. Der Höhepunkt war Donald Trump, der keinen Satz anfangen konnte, ohne jemanden zu beleidigen. Ich finde das furchtbar. Man muss nicht alles mögen. Aber man muss auch nicht andauernd so tun, als hätte man den Stein der Weisen, den hat keiner. Und das ist das Schöne am Kästner und seinen Kollegen im Geiste. Sie tun nicht so, als wüssten sie’s. Sie haben eine klare Haltung, das ja, aber sie sagen nicht, alle anderen seien doof.

akzent: Kästner war Gegner des Nationalsozialismus. Gilt das auch für rechtes Gedankengut?
Walter Sittler: Tucholsky sagt: Wenn du eine Pistole auf der Brust hast, überleg mal, ob du dich noch traust. Das tun sich nicht viele. Das sagt Kästner auch. Aber wenn jemand aktiv war, ist das etwas anderes. Mit solchen Leuten kann man nichts anfangen. Die unter der Oberaufsicht von Rechtsradikalen im Gleichschritt marschieren, direkt auf den Abgrund zu – die wollen wir nicht. Man muss eine klare Haltung beziehen. Anschreiben gegen das, was einem nicht gefällt. Und sagen, warum es einem nicht gefällt. Das ist das, was die Rechtsradikalen nicht können. Die können nur draufhauen. Was wollen die eigentlich? Das frage ich mich wirklich. Sie wollen recht haben und sie wollen bestimmen. Aber was? Und warum? Und worüber? Und wohin soll’s gehen? Hauptsache ich bin oben? Das ist mir zu wenig.

akzent: Was genießen Sie an Ihrem Beruf am meisten?
Walter Sittler:
Die Texte und das Publikum. Es gibt Texte, die so facettenreich sind, dass ich sie jeden Abend neu entdecke. Warum denkt jemand so? Und wie ist das? Das Leben ändert sich, die Gesellschaft ändert sich, die Regeln weichen auf. Und es kommen immer neue Autor*innen nach. Von zehn neuen Stücken sind fünf Unsinn, zwei richtig gut und der Rest so lala. Aber auch den Faust kann man auf 37 Arten spielen. Je nach Zeit und Ort kann ich gucken: Was ist da für mich drin? Mit den richtigen Texten kann ich förmlich spüren, wie die Fantasie der Zuschauer losgeht. Es geht nicht darum, sie zu beeindrucken oder zu überwältigen. Es geht auch nicht um uns auf der Bühne: Wir können einiges, aber wir sind alle nicht so großartig. Es geht darum, die Zuschauer auf eine Weise zu bereichern, die sie selbst vielleicht nicht beschreiben können. Man verführt sie zu sich selbst.

www.waltersittler.de

Text: Anne Prell
Beitragsbild: © Steffi Henn