Ihre Kunst passt nicht an die Wände eines Museums, oftmals nicht in die Köpfe der Menschen und schon gar nicht in ein Schema: Die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin betreiben in St. Gallen seit 1999 ein „Atelier für Sonderaufgaben“ und hinterfragen als Konzeptkünstler gerne festgefahrene Systeme. 

Von Ruth Eberhardt

© Christoph Kaminski

akzent: Auf den ersten Blick wirken Ihre Kunstaktionen oft witzig, sie haben aber einen tiefsinnigen Hintergrund. Worum geht es Ihnen?

Frank Riklin: Uns geht es um die „positive Störung“, um den realen Eingriff in die Gesellschaft, um die Schaffung von neuen Wirklichkeiten. Dabei versuchen wir, die Menschen zu Komplizen unserer Kunst zu machen, und verführen sie in die Welt des unüblichen Denkens und Handelns.

Patrik Riklin: Ein Beispiel dafür ist die Kunstaktion „Fliegen retten in Deppendorf“ (2012), wo wir gemeinsam mit dem Insektizidhersteller Dr. Hans-Dietrich Reckhaus ein ganzes Dorf mobilisierten und 902 Fliegen retteten. Nicht als Eintagsfliege, sondern als nachhaltige Intervention. 

Frank Riklin: Wir forderten Reckhaus auf, sein Geschäftsmodell auf den Kopf zu stellen: Retten statt töten! Heute ist er Vorreiter in seiner Branche. Kurzum: Bei unserer Kunst schaut man nicht einfach zu, sondern man wirkt mit.

akzent: Mit dem „Null Stern Hotel“ im Bunker wurden Sie im Jahr 2008 schlagartig berühmt. Fühlten Sie sich damals richtig verstanden? 

Patrik Riklin: Jein. Als Künstler wird man oft nicht richtig verstanden. Das ist Berufsrisiko. (lacht)

Frank Riklin: Das hat aber auch was Gutes. Denn Kunst soll ja bekanntlich nicht restlos erklärbar sein. (schmunzelt)

© Fabienne Buehler

akzent: Was wurde denn beim „Null Stern Hotel“ nicht richtig verstanden?

Frank Riklin: Unsere Idee war, die gewohnte Sterneklassifikation zu durchbrechen und eine neue Kategorie einzuführen. „Null Stern“ bedeutet in unserer Definition nicht den Verzicht auf Komfort, sondern die Freiheit und die Unabhängigkeit, eigene Normen zu erfinden und den Luxus und das Wertesystem neu zu definieren. Das haben viele nicht richtig verstanden. 

Patrik Riklin: Uns ging es eigentlich um die Kritik an der Sterne-Hotellerie, um eine Antithese zum Größen- und Luxuswahn. 2016 lancierten wir die Landversion: Das Null-Stern-Zimmer ohne Wände und Dach. Auch das schlug wieder ein wie eine Bombe. Im Fokus der Öffentlichkeit lag jedoch immer noch die kuriose Übernachtungsmöglichkeit. Uns ging es aber darum, dass das immobilienbefreite Hotelzimmer zum Treiber für Neues wird und eine Debatte über die Hotellerie der Zukunft auslöst. 

akzent: Welche Bedeutung hat es für Sie, dass Sie als Brüder-Paar zusammenarbeiten? 

Frank Riklin: Ohne unsere Symbiose und Streitkultur wäre das Atelier für Sonderaufgaben nicht das, was es heute ist! Ein Vorteil unserer Zusammenarbeit ist, dass wir immer jemanden haben, der „mitspinnt“. Eine Art verdoppelte Denkdimension. 

Patrik Riklin: Und wenn einer frustriert ist, ist immer noch der andere da, der sagt: Wir machen es trotzdem, das kommt schon gut.

akzent: Ihr aktuelles Projekt „Analoges Fadennetz“ wurde soeben in Altstätten abgelehnt. Sie wollten dort alle Haushalte mit Schnüren verbinden und so zum Nachdenken über digitale Netze anregen. Wie geht’s jetzt damit weiter? 

Patrik Riklin: Der Projektabbruch kam für uns überraschend, zumal der gesamte Stadtrat hinter dem Konzept stand. Scheitern gehört dazu. Das Projekt ist jedoch nur sistiert, nicht gestorben. Seit einigen Tagen sind wir im Gespräch mit neuen KomplizInnen. Kunst geht immer weiter. Das ist unser Selbstverständnis.  

akzent: Gibt’s noch ein anderes Projekt, an dem Sie gerade arbeiten?

Patrik Riklin: Ja, das ist aber noch geheim. Nur so viel: Das Projekt findet in Zürich in Komplizenschaft mit einer Pensionskasse statt. Ende Januar werden wir kommunizieren.

© Mario Baroncelli

Zwei Brüder
Die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin (* 17. Dezember 1973) sind als jüngstes Paar von sechs Kindern, von denen die ersten ebenfalls Zwillinge sind, in St. Gallen geboren und aufgewachsen. Beide absolvierten eine Lehre als Hochbauzeichner und studierten danach an verschiedenen Instituten Kunst. Ihre Kunstkonzepte platzieren sie gerne dort, wo sie nicht erwartet werden: an den Schnittstellen von Kunst, Alltag, Wirtschaft und Gesellschaft.

Titelfoto: © Claudio Baeggli